„Karl Hartwig Kaltners Malerei“

Im Diözesanmuseum von Mailand und dem Österreichischen Kulturforum liefen gerade Ausstellungen über den Künstler K. H. Kaltner. Mein Weg hatte mich in das Diözesanmuseum im Corso di Porta Ticinese geführt, wo wir uns beim Verlassen des Hauses rein zufällig begegnet sind. Ich kannte ihn und vor allem seine Arbeit schon länger, hatte seine künstlerischen Aktivitäten von Mailand aus verfolgt.

Der Weg führte uns zu einem kleinen Restaurant auf der nahegelegenen Piazza Sant´ Eustorgio. In der entspannten Atmosphäre eines kleinen aber köstlichen Mittagessens plauderten wir über Kunst. Über seine Kunst versteht sich.

Kaltner sprach vom Rhythmus, von der Gestik, vom Geistigen, das hinter den Dingen steckt. Wir sprachen über großformatige Leinwände, bemalt mit Asche und zerriebener Kohle, die im Diözesanmuseum ausgestellt waren, über kleinformatige Entwürfe für Glasfenster, über die Quellen der Inspiration

Der Rhythmus einer Handbewegung, einer inneren Stimme folgend, der Widerstand des Materials, die Musikalität einer Bewegung, das Hineinhören in den leeren Raum, das abwechselnde reagieren und agieren, das Stellungnehmen zu dem was auf der Leinwand passiert, das Wissen, wann das Bild eine Pause braucht, das Pulsieren des Materials, das Wissen, wann eine Arbeit abgeschlossen ist. Das sind Empfindungen, die für ihn offensichtlich von übergroßer Bedeutung sind, ohne die für ihn die Kunst keinen Sinn ergeben würde.

K. H. Kaltner sprach vom Geistigen, das hinter der Form steht, sich durch die Form sozusagen einen Zugang zur sichtbaren Welt erkämpft, er sprach von der Leinwand, vom rohen Leinen, wie er es verwendet, er sprach davon, wie er mit den Fingern über den gespannten und mit Gesso di Bologna grundierten Leinenstoff gleitet, was er dabei fühlt, dabei wahrnimmt, man konnte fast den Eindruck gewinnen, als würde er von einer erotischen Begegnung sprechen. Und von der Notwendigkeit, die Pforten der Wahrnehmung stets offen zu halten. Und er erzählte mir, wie er manche Bilder mit geschlossenen Augen betrachtete, um sie besser verstehen zu können.

Es wurde schon oft erwähnt, dass er zu jenen Künstlern gehört, die in einem aufwendigen Procedere ihre Leinwände selbst grundieren, ihre Farben selbst anrühren und mischen und dies mit Ingredienzien, welche eine jahrhundertealte, nahezu antike Tradition aufweisen. Das wäre für sich noch nicht erwähnenswert, wenn man dabei nicht seine Aufmerksamkeit, seine Liebe zum verwendeten Material, seine Hingabe an den Werkstoff spüren würde.

Kaltner sprach vom Rhythmus, von der Zeit, auch von der Gestik, und wie gerade dies dem Werk Authentizität verleihen würde. Es mag kein Zufall sein, dass der Komponist Gottfried von Einem sein Opus 103 dem Künstler Karl Hartwig Kaltner gewidmet hat, ja das Stück ausdrücklich „Karl Hartwig Kaltner´s Malerei“ genannt hat. Denn auch hier geht es um Rhythmus. So wie Kaltner über seine Kunst spricht, könnte er auch über eine zeitgenössische Komposition sprechen, über Architektur oder über das Essen, die Liebe oder das Leben schlechthin. Für ihn gibt es diese Trennungen nicht. Man hat den Eindruck, als würde alles sich in der Kunst wiederfinden, spiegeln, auch von dort seinen Ursprung nehmen. Ohne die Kunst, so meint er, wären wir nichts. Das Geistige mag uns über die Kunst erreichen.  So Kaltners Credo. 

Auszug aus einem Text des Kunstkritikers Carl Maria Drogo über ein Treffen mit dem Künstler Karl Hartwig Kaltner.